Serengeti

Schlaflos im Wanderzelt

Allein der Name weckt die Sehnsucht nach einer intakten Natur und Wildnis. Weite Ebenen, Savannen, Salzseen und Akazienwälder. Der Name der Serengeti bedeutet auf Swahili "endlose Prärie". Sie wurde durch den Film "Serengeti darf nicht sterben" unvergesslich gemacht und zählt zweifellos zu den größten und eindrucksvollsten Wildschutzgebieten unserer Erde. An keinem anderen Ort der Welt haben wir eine dermaßen große Vielfalt und Dichte an wild lebenden Tieren gesehen, wie hier in der südlichen Serengeti, an der Grenze zu Ndutu. Die Gegend von Ndutu mit den drei Seen Lake Ndutu, Lake Masek und Lake Lagarja spielt eine wichtige Rolle: In dieser Region kann man von Anfang Januar bis Mitte März Wanderungen enormer Tierherden (Great Migration) von Gnus und Zebras beobachten, die hier im Februar ihre Jungen zur Welt bringen, getrieben vom uralten Rhythmus des Lebenskreislaufes. Raubkatzen wie Löwe, Gepard und Leopard finden zu dieser Zeit durchgehend einen reichlich gedeckten Tisch und folgen den Tierherden - auch, um ihren ebenfalls Neugeborenen täglich ein reichhaltiges Mahl zu erbeuten.

 

Tagsüber verfolgen wir aus nächster Nähe ergriffen die tödliche Jagd dieser "Predators", denen einige der kleinen Giraffen, Gnus, Antilopen und Zebras zum Opfer fallen. Wir kommen uns vor wie perverse Voyeure, die dafür Geld zahlen, zusehen zu dürfen, wie kleine Baby-Gnus von Löwen ‘fertig gemacht‘ werden. Aber es geht hier um etwas ganz anderes: handelt es sich doch um ein archaisches Naturschauspiel über den Kampf um Leben und Tod zwischen Raub- und Beutetier, dessen Faszination uns so unmittelbar in seinen Bann schlägt, dass wir uns ihm nicht entziehen können. Beeindruckend ist auch die Vielzahl an Elefanten und ihren Jungen, die aufgrund ihrer Masse und Größe jegliche Zartheit in ihrer Fortbewegung entbehren: wo sie sich bewegen, werden große Bäume aus ihren Wurzeln gerissen, liegen überall abgebrochene Äste herum. Elefanten sind bei der Wahl iher Mittel nicht zimperlich, um an die weiter oben gewachsenen, grünen Blätter heran zu kommen. So bleibend der Eindruck ist, den die Tierwelt hinterlässt, so befreiend ist das Gefühl von Weite, die sich nach der Regenzeit über das Grasland der Savanne in einem endlosen grünen, mit Wildblumen besprenkelten Teppich bis hin zum Horizont am Ende der Welt erstreckt.

 

Nachts liegen wir adrenalingeschwängert von den Eindrücken des Tages mit einem leicht gruseligen Schaudern und gespitzten Ohren im Zelt, während Löwen aus nächster Nähe brüllen und Elefantenherden schnaufend und schmatzend durch das Camp stampfen und mit ihren Rüsseln die Zeltwand zum Wackeln bringen, weil sie sich an dem Baum direkt über unseren Köpfen satt essen. Die Massai erklären uns, dass wir uns weder vor Löwen, noch vor Elefanten zu fürchten bräuchten. Diese würden nicht versuchen, in das Zelt einzudringen. Hyänen dagegen seien wesentlich aggressiver. Wir bekommen für den Notfall festlich eine hölzerne Pfeife überreicht. Die natürliche Alarmanlage in einem Wanderzeltcamp. Ein lauter Pfiff würde ausreichen, um den unbewaffneten jungen Massai zu wecken, der für unsere Sicherheit zuständig ist und der dann unmittelbar zu unserer Rettung herannahen würde. An Schlaf ist trotzdem nicht zu denken. Schwer zu glauben, das unser Zelt am Morgen noch steht, nachdem wir gesehen haben, was für eine Schneise der Zerstörung zurückbleibt, wenn Elefanten vorbei gezogen sind. Auch der angeblichen Scheu und dem vermeintlichen Desinteresse von Löwen gegenüber uns Menschen stehe ich weiterhin skeptisch gegenüber. Es ist unmöglich, alle Geräusche vor unserem Zelt in der stockfinsteren Nacht eindeutig zuzuordnen. Unheimlich. Ich traue mich kaum zu atmen, wecke in meiner einsamen Not Michael, der mittlerweile seelig schläft. Er berechnet kurz die Wahrscheinlichkeiten eines Angriffs und die Stabilität des Zeltes, dreht sich brummend um und schläft weiter. Mit weißen Knöcheln umklammere ich die kleine Holzpfeife in der Faust. Irgendwann stelle ich mit Erleichterung fest, dass der Morgen graut. Überlebt! Nach einer unruhigen, angespannten Nacht freue ich mich auf die Dusche zum Wachwerden: der Massai hängt uns pünktlich um sechs Uhr einen Eimer mit heißem Wasser am Zelt auf, dessen Inhalt wir über ein Zugsystem sukzessive über uns entleeren können.

 

Ein neuer Tag beginnt. Wir nehmen ein kräftiges Frühstück zu uns, das auf einem mobilen vierflammigen Campinggasherd zubereitet wird, der sich in einem imposanten umgebauten Metall-Koffer vor dem Aufenthaltszelt befindet. Danach rumpeln wir im Jeep für sechs Stunden über Buckelpisten und querfeldein durch die Savannenlandschaft. Wieder sehen wir unzählig viele Giraffen, Gnus, Impalas, Zebras, Löwen, Schakale und sogar den seltenen Gepard - das schnellste Tier der Welt. Am letzten Abend genießen wir noch einmal das Busch-TV: die Szenerie besteht aus ein paar Stühlen die um ein Lagerfeuer herum aufgebaut werden, samt einer gut bestückten mobilen Bar. Mitten in der Wildnis der Serengeti sitzen wir unter freiem Himmel am Lagerfeuer und beobachten die Tierherden, die direkt an unserem Camp vorbei ziehen. Eine weitere Nacht im Zelt, bewaffnet mit der kleinen Holzpfeife, haben wir noch vor uns. Wir gehen sie nun mit etwas mehr Gelassenheit an, wenngleich nicht mit mehr Schlaf gesegnet als in der Nacht zuvor.

 

Am Morgen der Abreise fällt uns der Abschied schwer. Am liebsten würden wir noch länger bleiben an diesem ungewöhnlichen Ort. Unsere Augen glänzen feucht, als wir uns von den herzlichen, warmen und gastfreundlichen afrikanischen Mitarbeitern des Camps verabschieden. Es ist rührend, wie persönlich und liebevoll sich das ganze Team um uns und die anderen wenigen Gäste des Bushcamps gekümmert hat. Ein letztes Mal unternehmen wir mit Isaac, unserem Guide, der uns in den intensiven sechs Tagen sehr ans Herz gewachsen ist, einen Game-Drive durch die Wildnis, bevor wir auf einer kleinen, staubigen Piste die Sportmaschine besteigen, die uns nach Sansibar fliegen wird. Direkt neben der Piste döst eine Löwenfamilie im Schatten. Nach den Touristenmassen rund um den Ngorongorokrater bin ich wieder mit Tansania versöhnt. Eine größere Nähe zur Natur und den wilden Tieren, als hier im Wanderzelt in der Serengeti, ist schwer vorstellbar. Auch die Menschen in Afrika haben wieder einmal mehr unser Herz berührt. Wir winken Isaac beim Start der Maschine aus dem kleinen Fenster zum Abschied zu. Er winkt uns mit vollem Körpereinsatz strahlend zurück...